SAMMLUNG Brühe

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Pierre Tal-Coat

o.T. (No. 741)

„In seiner Vollendung verliert der Gegenstand seinen Wert als Gegenstand und erhebt sich zu einer Geistigkeit, die mit unserem höchsten Ausdruck in Einklang ist: das Geheimnis wird geboren von einer Kraft, die ständig nahe am Explodieren ist.“

Pierre Tal-Coat (1905-1985) zählt, obwohl in Vergessenheit geraten, zu den bedeutendsten, französischen Malern der klassischen Moderne. Tal-Coat, geboren als Pierre Jacob, beginnt seine Laufbahn 1923 als Autodidakt in der Bretagne und setzt sich innerhalb seines Œuvres mit Malerei, Graphik und Skulptur auseinander. 1925 geht er nach Paris und taucht dort in die Künstlerkreise der École de Paris ein. Dort beginnt er unter dem Pseudonym Tal-Coat in realistischer Manier Stillleben, Figurenbilder und Landschaften zu malen und schließt sich der Gruppe „Forces Nouvelles“ an. In der Serie der „Massacres“ (1936-37), die den spanischen Bürgerkrieg thematisieren, nähert er sich dem Stil von Picasso und Matisse an. Ebenso weisen manche Bilder eine Nähe zu Cezanne auf, mit dessen Erbe er durch seine zahlreichen Aufenthalte in Aix-en-Provence immer wieder konfrontiert wird.

1947 verändert Tal-Coat seinen Stil radikal. André Masson macht ihn mit der chinesischen Malerei vertraut, insbesondere mit der Landschaftsmalerei der Song-Periode (960-1279). Zudem beschäftigt er sich eingehend mit Geologie und paläolithischer Kunst. 1960 kehrt er Paris und den Kunstkreisen der Hauptstadt den Rücken und lässt sich in der Normandie nieder. Oftmals integriert er Referenzen an die primitive, unberührte Natur in der Form von archaischen Symbolen oder Tierspuren in seine Arbeiten. Dementsprechend lässt er seine Beobachtung von natürlichen Phänomenen in einen zunehmenden Abstraktionsprozess einfließen, um seinem Streben nach dem Absoluten und Existentiellen bildlich nahe zu kommen.

Zusammen mit den Künstlern der École de Paris zeigen die Galerie de France (1943-65) Galerie Maeght (1954-74), Benador (1970-80), HM, Clivage und die Berthet-Aittouarès Galerie regelmäßig seine Werke. 1956 werden sechs seiner Gemälde auf der Biennale in Venedig ausgestellt. 1963 kollaboriert er mit Joan Miró und Ubac im Auftrag der Maeght Foundation. Tal-Coat entwirft ein Wandmosaik für das Foyer und erhält dafür den Grand Prix National des Arts. 1976 widmet ihm das Grand Palais in Paris eine großangelegt Retrospektive.

Die Arbeit ohne Titel (No. 741) von 1980 stammt aus der abstrakten Spätphase ab Beginn der 80er Jahre, kurz vor dem Tode Tal-Coats 1985. Als ungewöhnlicher Malgrund fungiert eine Zigarrenschachtel, einem Medium, das er insbesondere in den letzten Jahren für sich entdeckte. Den Malstil seines Hauptwerkes entwickelt er bereits ab 60er Jahren als Tal-Coat nicht mehr klassisch auf der Leinwand malt, sondern in die Farbschichten eingreift. Manchmal kratzt, schabt oder deckt er Zugedecktes wieder auf. Untere Schichten kommen zum Vorschein. Das Resultat ist eine „peinture en matière“ mit einer stark strukturierten Oberfläche. Hier nimmt Tal-Coat die Eigenarten des Materials – die verschiedenen Malschichten, Farbverkrustungen und –kulminationen oder Risse – bewusst in die Bildkomposition auf. Die Ränder sind ebenfalls bemalt, zum Teil lässt sich der Malprozess an ihnen nachvollziehen. Dies unterstreicht das narrative Element des Schaffensprozess.

Bestimmte Partien bestechen durch ihren Glanz, andere wiederum durch ihre subtile Mattheit. Die Zusammensetzung und Leuchtkraft seiner Farben ist Tal-Coat dabei sehr wichtig. Meist zerreibt er seine Pigmente und mischt die Farben selbst. Der Malgestus, die Farbe werden zu der erzeugenden Kraft des Bildraumes. Farbe und Motiv verschmelzen, werden zur Farbmaterie und strahlender Lichtquelle. „Die Rolle der Farben, die ich vom Rhythmus nicht trennen kann, ist es, diese transzendente Wirklichkeit, auf die sich das Individuum entwickelt. Es ist das Lebendige, was zählt.“

In den Werken Tal-Coats spürt man die fast mystische, transzendente Auseinandersetzung mit der Natur und der Welt an sich. Tal-Coat strebt danach, die Elemente der Wirklichkeit, die das Wahrgenommene ausmachen, mittels ihrer Äquivalente neu zu erschaffen. In einem platonischen Sinne geht es ihm dabei um die Idee des Dargestellten. Tal-Coat bietet nicht Aspekte, sondern Momente, Passagen der Natur, die „Präsenz“ wie er es nannte. Samuel Beckett attestierte Tal-Coat: „Ob nun durch Unterwerfung oder durch Können erreicht, das Ergebnis ist ein Gewinn an Natur.“

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